Am 27. Oktober sind Landtagswahlen in Thüringen. Wir gehen davon aus, dass die AfD, ähnlich wie in Sachsen und Brandenburg, mehr als 20% der abgegebenen Stimmen erhalten wird. Nur ein Grund, warum wir am 12. Oktober – 2 Wochen vor der Landtagswahl – auf der „Alles muss man selber machen“-Demo in Erfurt klare Kante gegen die rassistischen und faschistischen Tendenzen in der Gesellschaft zeigen wollen.
»Wir sind wieder wer«
In weiten Teilen der Bevölkerung ist ein völkisch-nationalistisches und biologistisches Verständnis des Deutsch-Seins verbreitet. Dazu gehören darf, wer christlich (oder zumindest nicht muslimisch oder jüdisch) und weiß ist, Bier zur Bratwurst trinkt sowie 57 Generationen deutsche Vorfahren vorzeigen kann. Wer das nicht kann, wird allenfalls geduldet, wenn er dem Standort nützt. Nicht nur sind rechte Parteien und ihre Wählerschaften auf dem Vormarsch, auch die sogenannte Mitte der Gesellschaft rückt nach rechts, was mit einer zunehmenden autoritären Formierung des Staates einhergeht. Hierzu gehören die Aufrüstung der Polizei und die neuen Polizeigesetze, Repression gegen Antifaschist*innen sowie andere linke Aktivist*innen als auch die zunehmende Einschüchterung aller, die nicht »Ja« zum neuen deutschen Größenwahn sagen. Die Abgrenzung nach Außen geschieht durch Militär, tödliche Außengrenzen und dauerhafte Schikanen gegen Geflüchtete. Migrantische Selbstorganisationen erhalten kaum Gehör. Die öffentliche Wahrnehmung von Geflüchteten ist geprägt durch rassistische Diskurse von Asylmissbrauch, Clan-Kriminalität und gewalttätigen Jugendbanden. Einschüchterung, Einknastung, und Repression werden toleriert bzw. für gut geheißen, weil das Märchen, dass es »uns« besser geht, wenn »die Anderen« schikaniert werden, mittlerweile fast durchgängig geglaubt wird.
Die Partei der Volksgemeinschaft
In Thüringen kann die AfD im Hinblick auf die anstehenden Landtagswahlen laut einer Umfrage vom September 25% der Stimmen auf sich vereinigen. Damit wäre die (neo-)faschistische Partei nach DIE LINKE und vor der CDU zweitstärkste Kraft. Und das mit dem offen rassistisch auftretenden Spitzenkandidaten Bernd Höcke, der an vorderster Front gegen Geflüchtete hetzt, die soziale Frage national beantworten will, die Shoa verharmlost, die Deutschen als Opfer des Nationalsozialismus sieht und sich selbst zum »intellektuellen Führer« der neuen Rechten aufbaut.
Diese Entwicklung mit der AfD ist jedoch nicht plötzlich vom Himmel gefallen, sondern hat sich sehr lange angebahnt. Schon Anfang der 1990er-Jahre führte eine rassistische Stimmungsmache – vor allem von CDU und Nazi-Szene, aber auch aus Teilen der SPD und anderen Parteien – zu einer Welle von Pogromen, Morden und Brandanschlägen, mit denen dann die faktische Abschaffung des Asylrechts legitimiert wurde. In den 2000er-Jahren verbreiteten sich zahlreiche Ideen der »neuen Rechten«: eine positive Orientierung an Ungleichheit und dem Recht des Stärkeren, Antifeminismus, offener Nationalismus, kulturalistischer Rassismus (vor allem gegen den Islam). Nur so konnte Sarrazins 2010 erschienenes Buch »Deutschland schafft sich ab« zum Bestseller werden. Zahlreiche Studien (Deutsche Zustände, Thüringenmonitor, Mitte-Studie, …) zeigen, dass breite Teile der Gesellschaft rassistischen und nationalistischen Aussagen zustimmen und sich einen starken, autoritären Staat wünschen, der mit aller Härte gegen all jene durchgreift, die nicht in ihr Gesellschaftsbild passen.
Die letzten Jahre verzeichnen eine Enttabuisierung rechten Gedankenguts. Massenmobilisierungen à la Pegida, Bundesweite »Nein zum Heim«-Initiativen und Auftritte von AfD-Akteur*innen bestimmen das mediale Tagesgeschäft; die Perspektiven von Betroffenen der unzähligen Brandanschläge und rechten Gewalttaten bleiben dagegen weitestgehend ungesehen und ungehört. Oder schlimmer: sie werden gehört, und bleiben ohne Konsequenz. Asyl-Gesetze werden weiter verschärft, Abschiebeknäste errichtet und Menschen, die Abschiebungen verhindern wollen, mit Repression überzogen.
Faschisierung allerorts
Doch nicht nur die deutsche Gesellschaft rückt nach rechts. Mit Donald Trump ist ein Rassist und Sexist Präsident der USA. In Brasilien werden afrobrasilianische Menschen und die LGBTQI*-Community verfolgt. In vielen Ländern Europas erstarken rechte, nationalistische Parteien. Frankreich, Polen, Ungarn, Österreich sind nur einige davon. Als Gründe dafür gelten u.a. die Unsicherheiten der Wähler*innen, die sich in der zunehmenden kapitalistischen Globalisierung nicht verorten können. Diese Ängste wurden insbesondere durch die diskursprägenden Dauerkrisen wie die sogenannte Finanzkrise, die Eurokrise oder die vermeintliche Flüchtlingskrise (welche eigentlich eine Krise der Abschottung ist) gestärkt und aufrecht erhalten. Die Krise ist real und imaginiert: Real ist, dass seit den 1980er-Jahren Arbeitnehmer*innenrechte abgebaut werden, Löhne sinken und der Sozialstaat demontiert wird. Imaginiert ist, dass der Zusammenbruch vor der Tür steht, weil das globale Kapital, korrupte Politiker*innen und Geflüchteten Deutschland zerstören wollen. Im Zustand realer und gefühlter Unsicherheit sind die Menschen empfänglich und überzeugt von den einfachen Lösungen der Rechten. Ihr Versprechen ist schlicht: Wenn wir die ganzen Störenfriede, Fremden und »Anderen« abschieben, einsperren und ausgrenzen, wird es dem deutschen Volksgenossen schon besser gehen. Das Versprechen ist ein national gebändigter Kapitalismus, bei dem ein starker Staat die Krisen so verwaltet, dass zumindest »die Anderen« mehr darunter leiden als »Wir«.
Die Gesellschaft der Konkurrenz
In einer Gesellschaft, die Menschen in Konkurrenz zueinander stellt, in welcher der Reichtum der Einen die Armut der Anderen bedeutet, und in der Menschen nach ihrer Lohnarbeitskraft bzw. ihrer Ausbeutbarkeit bewertet werden, wird diese auch für die einzelnen Menschen zu einem Gradmesser ihrer eigenen Wertigkeit. Damit finden entscheidende Wesenszüge rechtsnationaler Ideologie wie Konkurrenzdenken, Ellenbogenmentalität die eigene Aufwertung durch die Abwertung des Anderen ihren Ursprung in den Grundzügen des kapitalistischen Gesellschaftssystems. Im Kapitalismus zählt nur, was Profit erwirtschaftet. Soziale Dienste, angemessene Löhne und Arbeitsbedingungen sowie Klima- und Umweltschutz sind dagegen Kostenfaktoren und mindern den Profit. Fehlt die Gegenwehr, wird an diesen Stellen gespart, so lange es geht. Sexismus und Rassismus helfen dabei, soziale Ungleichheit zu legitimieren und Arbeitskräften ihren Platz im System zuzuweisen. Die AfD will dies noch verschärfen: Sie bietet umso mehr Rassismus und Sexismus, einen autoritären Staat und weniger Rechte für Arbeiter*innen. Dadurch wird keine*r am Ende mehr Lohn, eine günstigere Wohnung oder ein schöneres Leben haben. Alles, was die AfD verspricht, ist das beruhigende Gefühl, von Deutschen ausgebeutet zu werden und auf Ausgegrenzte herabschauen zu können.
Der Faschismus der AfD ist hinlänglich belegt und bekannt. Wer die AfD wählt, wählt wissentlich den Faschismus. Jedes Verständnis für die Wähler*innen dieser Partei, die Anbiederung an rechte Wähler*innen durch Bekenntnisse zur Heimatliebe von DIE LINKE bis zur CDU, ist fehl am Platz.
Alles muss man selber machen
Wir wissen: Wer sich dem Rechtsruck entgegen stellen will, kann sich nicht auf den Staat samt seiner Institutionen verlassen. Deutlich macht das vor allem der Umgang mit dem, auch in Thüringen aktiv gewesenen, neonazistischen Netzwerk NSU, das mindestens zehn Menschen ermordet hat. Im Zuge der Aufklärung, die insbesondere durch migrantische Selbstorganisationen und einzelne engagierte Politiker*innen in Untersuchungsausschüssen vorangetrieben wurde, wurde ein rechtes Netzwerk im Verfassungsschutz mit dessen V-Leuten sowie innerhalb der Ermittlungsbehörden aufgedeckt. So haben die staatlichen Behörden den NSU letztlich finanziert und mit aufgebaut.
Doch hat sich viel verändert? Seit 2019 verschickt der sogenannte NSU 2.0 mit Verstrickungen in die Hessische Polizei Drohbriefe an z. B. eine Anwältin, die im NSU-Prozess eine der Opfer-Familien vertreten hat. Es wird mit »Hannibal« ein rechtes Netzwerk in Bundeswehr und SEK aufgedeckt. Dieses ist wiederum eng vernetzt mit Neonazigruppen wie Nordkreuz etc. Die Konsequenz: Die Aufrüstung von Militär und Polizei. Die Dinge spitzen sich weiter zu: Ein CDU-Politiker wird erschossen, weil er sich für ein Recht auf Asyl à la Merkel aussprach, ein Eritreer wird auf offener Straße von einem Rassisten niedergeschossen.
Es reicht schon lange! Organisiert euch mit uns, um die tödliche rassistische Kontinuität und die endlose Gegenwart des Kapitalismus zu brechen. Antifa bedeutet Aufklärung über die unmenschlichen gesellschaftlichen Verhältnisse, Widerspruch gegen alle Zustände, in welchen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist; und Selbstorganisation für eine grundsätzliche Änderung der Verhältnisse. Wir kämpfen gegen die lächerliche Gleichstellung von Links und Rechts durch die Extremismusdoktrin, gegen die Kriminalisierung und die massive Repression, mit der antifaschistisches Engagement überzogen wird. Wir haben die Schnauze voll von der Stärkung faschistischer Strukturen, rassistischer Abschottungspolitik und dem Konsens in weiten Teilen der Gesellschaft, dies alles aktiv mitzutragen.
Was wir brauchen ist ein gesellschaftlicher Wandel, den wir solidarisch aushandeln und gemeinsam umsetzen müssen. Deswegen kämpfen wir gemeinsam für eine Welt, in der alle ein gutes Leben haben – heute und über Generationen hinweg.
Darum am 12. Oktober auf nach Erfurt! Hinein in den Antifa-Block! Geht mit uns auf die Straße und lasst uns gemeinsam laut zeigen, was wir von der ganzen blaubraunen Scheiße halten! Auch wenn sich die Lage zuspitzt, wir werden nicht leiser, sondern lauter. Wir werden das nicht alles einfach so hinnehmen. Im Gegenteil! Denn es gilt – gerade jetzt: Antifa müssen wir alle selber machen – und zwar als Feind*innen von Staat, Nation und Kapital!