Gegen jeden Antisemitismus!

Gestern, am 9. Oktober, wurden in Halle von einem antisemitischen, rassistischen und antifeministischen Täter zwei Menschen getötet und zwei weitere schwer verletzt. Der Täter schoss auch noch auf weitere Menschen – dass diese nicht verletzt wurden, lag am Versagen seiner Waffen. Zuvor versuchte er in eine Synagoge einzudringen, in welcher ca. 60 Jüdinnen und Juden das Jom Kippur-Fest begingen. Nur die Sicherheitsvorkehrungen vor Ort verhinderten ein Blutbad mit einer Vielzahl an getöteten Menschen. Diese Tat macht uns unheimlich traurig. Wir sind in Gedanken bei den Familien und Freund*innen der Opfer und bei allen Jüdinnen und Juden.

Wir sind aber auch wütend. Denn wir haben kein Verständnis dafür, wenn Politiker*innen wie Annegret Kramp-Karrenbauer bei dieser Tat von einem „Alarmzeichen“ sprechen oder wie der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine solche Tat als „unvorstellbar“ einordnet. Damit verhöhnen sie nicht nur die zahlreichen Opfer dieser menschenverachtenden Ideologie, sondern zeigen sich (wieder einmal) blind für die Zustände und das hasserfüllte gesellschaftliche Klima in diesem Land. Antisemitismus hat in Deutschland eine tödliche Kontinuität – das sollte uns allen bewusst sein. Angriffe auf jüdische Menschen haben wieder zugenommen: Jüdische Friedhöfe werden mit antisemitischen Symbolen beschmiert, Synagogen wurden und werden zumeist mit Brandanschlägen angegriffen – wie z. B. 2000 auch in Erfurt. Auch Gedenkorte an Opfer des Rassismus, wie eine gepflanzte Eiche und eine Bank. die an die Opfer des NSU erinnern, wurden in Zwickau jüngst zerstört. Wer Taten wie die gestrige als ‚unvorstellbar‘ oder ‚Alarmzeichen‘ bezeichnet, erkennt nicht an, dass die Entwicklungen der letzten Jahre genug Alarmzeichen hätten sein müssen. Der erkennt auch nicht an, dass in den letzten Jahren eine Prävention solcher Taten unterlassen wurde und damit bleibt unausgesprochen, dass die Tat hätte verhindert werden können.

Der Terroranschlag in Halle reiht sich in der ideologischen Ausrichtung und Durchführung der Tat in Attentate wie die in Christchurch, Oslo und Pittsburgh ein. Es sind männliche, extrem rechte Täter, die Menschen hinrichten, um ihr menschenverachtendes Weltbild zu realisieren. Parallel dazu verfassen sie krude Manifeste, um über die Tat hinaus ihre Ideologie zu verbreiten und zu verankern. Die Inhalte und Sprache in diesen ähneln sich, was zeigt, wie sehr sich die Täter und das sie unterstützende Netzwerk (zumeist eine große Online-Community) untereinander beeinflussen. So spricht er mitunter Englisch und benutzt für die Online Nazi-Community typische Sprache – sein Ziel war es also, global Gleichgesinnte zu erreichen und ggf. zu ermutigen, es ihm gleich zu tun. Das alles spricht gegen die These des Einzeltäters.

Genannte Motive sind der Kampf gegen den angeblich drohenden Bevölkerungsaustausch, welcher angeblich von Jüdinnen und Juden vorangetrieben werde; Kampf gegen politische Gegner*innen, welche u. a. als „Kulturmarxisten“ bezeichnet und ebenso als Beförder*innen des „Großen Austauschs“ benannt und in der Folge getötet werden sollen bzw. werden. Der Täter von Halle äußerte sich zudem klar antifeministisch, und machte das Selbstbestimmungsrecht „westlicher Frauen“ als Grund für das angebliche „Volkssterben“ aus. In dieser kruden Verschwörungstheorie findet sich eindeutig rechte Rhetorik, die durch ’neurechte‘ Akteur*innen wie die ‚Identitären‘ und die AfD immer mehr geduldeten Raum im gesellschaftlichen Diskurs findet. Dort wird sie jedoch zu wenig bekämpft und als das enttarnt, was sie ist: antisemitisch, biologistisch, völkisch, nationalistisch, rassistisch und sexistisch. Und in letzter Konsequenz immer tödlich.

Nach Geschehnissen wie diesen fühlen wir uns oft ohnmächtig, hilflos und allein. Doch wir dürfen uns nicht entmutigen lassen. Es ist unsere Pflicht, uns jeden Tag an die Seite von Menschen zu stellen, denen durch Antisemit*innen, Rassist*innen, Antifeminist*innen und Faschist*innen ihr Recht auf Leben abgesprochen wird. Wir müssen aufstehen, wenn Menschen abgewertet, beleidigt und angegriffen werden. Wir dürfen nicht weghören und wegsehen, auch wenn dies in der Familie oder im Freund*innenkreis geschieht. Wenn wir dies nicht konsequent tun, wird das gesellschaftliche Klima so vergiftet bleiben, wie es bereits ist. Und dies führt zu Teilnahmslosigkeit, Ignoranz und letztlich Akzeptanz gegenüber dem Leiden, denen Juden und Jüdinnen, BIPOC, Inter*, Trans*, queere Personen jeden Tag in dieser Gesellschaft ausgesetzt sind. Das dürfen wir nicht zulassen. Wer schweigt, macht sich mitschuldig!

Am Samstag, den 12.10. gehen wir gemeinsam auf die Straße und werden umso lauter für eine grenzenlos solidarische Gesellschaft einstehen. Auch wenn uns nach Geschehnissen wie diesen die Stimme wegbricht.

Gegen jeden Antisemitismus! Gegen Rassismus! Gegen Sexismus!

Für die Freiheit! Für das Leben!

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