Als Reaktion auf die Machtübernahme der islamistischen Taliban haben in den vergangenen Tagen in zahlreichen Städten Menschen für eine eine schnelle Evakuierung und sichere Fluchtwege aus Afghanistan nach Deutschland demonstriert. Auch in Erfurt und Weimar gingen am Mittwoch, den 18.08.2021 jeweils mehrere hundert Menschen auf die Straße.
Wir möchten in diesem Zuge den Redebeitrag eines Aktivisten des antirassistischen Netzwerks We’ll Come United teilen:
Liebe Freund:innen und Freunde,
Wir stehen in grenzenloser Solidarität an der Seite der Menschen in Afghanistan und mit allen Menschen auf der Flucht. Der Traum auf eine Zukunft, nach Freiheit und Frieden liegt in Trümmern. Ein Traum, den die Weltgemeinschaft aufgegeben hat zu verteidigen. Doch der Kampf für sichere Fluchtwege, gegen das europäische Grenzregime und für das Recht zu kommen, zu gehen und zu bleiben muss nun mit aller Kraft fortgesetzt werden.
Wir brauchen jetzt! sichere Fluchtwege, Fluchthelfer:innen und Korridore der Solidarität! Wir fordern eine Luftbrücke, die sofortige Umsetzung von Akut-Aufnahmeprogrammen und die Ermöglichung eines erweiterten Familiennachzugs für alle Familienangehörigen mit einer schnellen und unbürokratischen Visierung!
Das Land Thüringen und sein Migrationsminister hat neben zahlreichen anderen Bundesländern bereits seine Bereitschaft für ein solches Aufnahmeprogramm in Aussicht gestellt. Doch wir wissen sehr wohl, mit welcher Konsequenz dieses Land bereits das letzte in Aussicht gestellte und versprochene Programm zur Evakuierung aus den griechischen Elendslagern umgesetzt hat. Das Land Thüringen war bis heute nicht bereit, es auch tatsächlich gegen das Bundesinnenministerium durchzusetzen und sein Migrationsminister hat mit Blick auf Afghanistan bis zum letzten Abschiebeflug und vor der Aussetzung aller Abschiebungen nach Afghanistan noch Menschen nach Afghanistan abschieben wollen. Das ist die bittere Realität dieser unserer rot-rot-grünen Landesregierung. Sie war und ist stets Teil der Kultur der Abschiebung, der Isolation und Lagerunterbringung. Ich traue diesen neuen Versprechungen daher nicht. Wir wollen nicht hoffen müssen, sondern wir fordern die sofortige Aufnahme und Evakuierung von Ihnen ein Herr Adams!
Sie haben jetzt erneut die politische Chance, ein Programm durch- und tatsächlich umzusetzen und die Familien von unseren afghanischen Freundinnen und Freunden, unseren Nachbar:innen und Kolleg:innen, die seit nunmehr vielen Jahren hier und mit uns leben, mit denen wir immer wieder Seite an Seite für eine bessere und solidarische Gesellschaft kämpfen und arbeiten, hier herzuholen! Das sind Sie uns und allen Afghan:innen hier schuldig! Und dabei darf es keine Zugeständnisse geben. Die Aufnahme muss jetzt passieren und frei von kostspieligen Verpflichtungserklärungen und bürokratischen Hürden sein.
Immer wieder haben wir auch hier in Erfurt gegen die Probleme mit der Ausländerbehörde Erfurt ankämpfen müssen und doch hat sich in der Behörde wenig zum Besseren verändert. Diese Behörde hat bis zuletzt Hand in Hand mit dem Auswärtigen Amt Familiennachzüge aus Afghanistan unter anderem zu unbegleiteten Minderjährigen systematisch verschleppt und verhindert bis sie unmöglich geworden sind. Auch Ihnen möchte ich sagen, Ihr Handeln und Nichthandeln, der widerwärtige Rassismus in den Institutionen und Behörden hat Konsequenzen! Familien, Eltern, Brüder und Schwestern, die längst hätten hier und unter uns sein können, sind nun in Afghanistan und Kabul mit dem Leben bedroht und das ist ganz unverblümt gesprochen: Ihre Schuld! Es ist die Schuld rassistischer Behörden-Strukturen in diesem Land, in dem wir immer wieder haben schmerzlich erfahren müssen, dass Rassismus tötet.
Vieles ist Jahr für Jahr immer und immer wieder schlimmer geworden. Und doch haben die Bundesregierung und seine Ministerien immer wieder behauptet, dass Afghanistan sicher sei. Auf Grundlage dieser Lüge wurden Asylanträge reihenweise abgelehnt, wurde Schutz widerrufen und wurde nach Afghanistan abgeschoben. Bis zuletzt hatte diese Regierung an Abschiebungen um jeden Preis festgehalten. Seit Beginn der bundesweiten Sammelabschiebungen nach Afghanistan im Dezember 2016 haben Bund und Länder insgesamt 1015 Menschen nach Afghanistan abgeschoben – und jede vollstreckte Abschiebung ist eine zu viel, ist rassistische und mörderische Gewalt! Vor den Gerichten stellten sich gar die Hälfte aller Entscheidungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge als falsch und rechtswidrig heraus und immer wieder müssen Afghan:innen hier lange gegen ihre Abschiebung und für Bleiberechte streiten.
Die Konsequenz aus dieser Lehre muss ein bedingungsloses Bleiberecht für alle sein! Wir dürfen hinter dieser Forderung nicht länger zurückstehen, sondern müssen dafür kämpfen! Für ein Recht zu kommen, zu gehen und zu bleiben! besonders dann, wenn dieses Land bald wieder planen sollte auch nach Syrien oder andere Länder abzuschieben und die nächsten Sammelcharter der Schande abheben werden.
Liebe Freund:innen, ich will euch sagen: Habt Mut und haltet durch! Denn wir können und dürfen nicht aufgeben. Zusammen müssen wir laut bleiben und einfordern, was uns allen gemeinsam zusteht! Bewegungsfreiheit, Bleiberechte und Familienleben für alle!
Wir dürfen uns weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht dumm machen lassen: 2015 muss wieder sein! Wir brauchen einen erneuten Durchbruch an den inneren und äußeren Grenzen der Festung Europa. Märsche, Züge, Busse und Flüge der Hoffnung. Korridore der Solidarität. Dafür lohnt es sich zu kämpfen!
Und an die Verantwortungsträger:innen der Thüringer Landesregierung: Holen Sie jetzt Ihr Kabinett zusammen aus der unverdienten Sommerpause, um ein Akut-Aufnahmeprogramm konzentriert umzusetzen und mit allen nötigen Rechtsmitteln durchzusetzen! Stellen Sie jetzt bereits die dezentrale Unterbringung aller, die Kommen werden, in eigenen Wohnungen sicher! Sie werden mit uns keinen Frieden finden und wir werden nicht vergessen, wenn sie jetzt erneut zögern und nicht Handeln!